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Rayuela. Himmel und Hölle.


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kommentar:Absurd, das hier zu erwähnen, aber diesen Roman oder vielmehr Antiroman, habe ich am liebsten in Paris gelesen, natürlich nicht im richtigen, oder wasauchimmer man als richtiges bezeichnet, sondern an Orten, an denen ich mich dem Ort der Handlung nahe fühlte. Es ist dies sein bedeutendstes Werk, mit dem der argentinische Autor Julio Cortazar, damals UN-Übersetzer pro forma, dem Leser eine neue Welt offenbart. Nicht durch großartig Überdimensionales, Übernatürliches, sondern eher durch das sukzessive Durchdringen des Phantastischen in die Wirklichkeit, die von Absurditäten und Widersprüchen durchzogen ist und an der jeder Denkende allzuoft verzweifeln könnte. En detail: Alter Ego Horacio Oliviera, in Paris lebend, Mateteeliebhaber, Philosoph und zur zwanghaften Selbstfindung verdammt, lebt zu Anfang mit Maga, seiner Intimsfreundin und verschiedenen anderen Künstlernaturen in einem Zyklus aus nächtlichen Treffen im „Club der Schlange“, in dem die ganze Facette künstlerisch-kulturell-existenzieller Fragen erörtert wird, geraucht und Musik (Jazz, natürlich, manchmal auch Klassik, gelegentlich Chansons; u.a. gibt es auch ein großartige Erzählung des Autors über Charlie Parker) gehört wird. Der Roman, also Antiroman hat keine exakt ausmachende Handlung, er setzt sich aus vielen verschiedenen Teilen zusammen, die sich um sich selber drehen, Zeilen in den Hirnwindungen Horacios¥. Der Clou kommt aber jetzt: Das Buch lässt sich, so erklärt es Cortazar zu vorderst, auf unterschiedliche Art und Weise lesen. Von subjektiven Empfindungsvermögen eines Leserweibchens will ich jetzt gar nicht anfangen, viel banaler. Der Roman, so Cortazar, ist in gewisser Weise mehrere Bücher, zu allererst aber zwei. Das erste, das wiederum aus Teil 1 und Teil 2 besteht, liest sich wie ein herkömmliches Buch, von vorn bis hinten (außer asiatische, ich weiß), das zweite aber ist eine Verschmelzung des ersten Buches mit dem zweiten, das wiederum überfrachtet ist mit „Notizen“, weiteren Kapiteln, die sich winden, als solche akzeptiert zu werden, da sie häufig nur aus fremden Zitaten, scheinbar zusammenhanglosen Schnipseln und weiteren Zusatzepisoden und Ergänzungen zu Olivieras Lebenssuche (denn das ist es!). Diese beiden Bücher zusammen bilden also das zweite Buch, oder besser, die zweite Lesevariante, die allerdings geduldiges, teils anstrengendes Lesen erfordert, da die Wissenschaftlichkeit vieler Bemerkungen, besonders im zweiten Teil, hochgradig anerkannt ist. (Kleiner Scherz, doch meine ich durch die Gespräche Olivieras, seine Gedanken, und seine Handlungsweisen im ersten Buch mehr gewonnen zu haben - obwohl es manchmal ungeahnt gut tut, einen Text zu lesen, den man wirklich absolut nicht versteht, doch dies, Autorenwille hin oder her, auch nicht unbedingt muss). Dieser Kreisel um die Hauptperson, dieses träumerisch-phantastische, dem sie sich bewusst ist und hingibt, am Ende dessen erliegt (?), ist der Kernpunkt; die Handlung stellt nur den stets dünner werdenden Verbindungsstrick zur Außenwelt, aber auch, in der Erinnerung an Maga, zu seiner noch liebesfähigen Innenwelt dar. Es passiert nämlich noch dies: der Bohemezirkel zerbricht, das Kind der Maga, Rocamadour mit Namen, stirbt an fehlender Fürsorge, bzw. an Überforderung seiner Umwelt, 30 Seiten dunkler zyklischer Klavierabendwahn mit verrückter Pianistin Berthe Trepat an Olivieras Arm durch den nächtlichen Parisregen, Ausweisung Olivieras und Rückkehr nach Argentinien zu Freund Traveler und seiner Frau Talita, noch mehr Matebrühungen, Arbeit wie immer gelegentlich, im Zirkus, dann Erwerb einer Tätigkeit für alle drei in einem städtischen Irrenhaus am Rande von Buenos Aires, wobei hier der Autor (wie so oft) die berechtigte Frage stellt, wird denn nun eigentlich die Irren sind.
Diese aufgeworfene Frage ist für mich einer der Kernpunkte. Hier, in diesem Roman, gibt es keine Botschaften, Anleitungen zu einem besseren Leben, sondern hier wird gespielt. Der Autor und sein Ich auf der Suche nach dem Zugang zum Himmel, wie im Titel „Rayuela“, dem Namen des Spiels, im deutschen unter „Himmel und Hölle“ bekannt, in dem durch geschicktes Werfen eines Steins und balanciertes Hüpfen auf die mit Kreidefarbe gemalten Felder von der Hölle ganz unten, in den „Himmel“ zu gelangen versucht wird. Oder wie es die Metaphysik (Oliviera hasst dieses Wort!) auch immer infolgedessen ausdrücken möchte. Die Symbolik des Spiels durchdringt den ganzen Stoff des Romans, verwischt und taucht wieder auf, bis die letzte Kreideherausforderung auf dem Hofboden des Irrenhauses Olivieras angeschlagene Psyche, wie das ein „Leserweibchen“ (in den Augen Cortazars ein voreingenommener, charakterloser Kulturanhäufer, würde ich behaupten) ausdrücken würde, seine Psyche allzusehr in Verlockung führt. Und angeschlagen deshalb, weil er, was er sich vorher, in Paris, nicht eingestehen wollte, doch in Maga verliebt ist, sie auch überall auf der Herfahrt nach Buenos Aires gesucht hatte, nur sie nirgends aufzufinden war. Doch was dann kommt, spottet wirklich jeder Beschreibung. Die eigene Grabesrede Olivieras, er am Fenster, im Gespräch mit seinem Jugendfreund Traveler, der den zum Sprung (vom oberen Fenster lässt sich vielleicht, ja vielleicht das „Himmelfeld“ des Spiels erreichen) ansetzenden noch von seiner Tat abraten will.
Alles davon ist durchzuckt von Leben, philosophischem Immer-Weiter-Hineindringen, Irrsinn, absurdem Zwiegespräch mit Welt und Ich-Sich, Ängsten und Hoffnung.
Das Ende bleibt offen (oder fast). Außer, dass man nun eben gerne in Paris leben möchte (schon allein die detailgetreuen Beschreibungen der authentischen Straßen der 50er) oder Mate zu trinken beginnt oder versucht, ein Brett über den Abgrund zu schieben, eine lächerliche, völlig absurde (oh, wie ich mit diesem Roman das Wort lieben gelernt habe) Situation, und doch so gefährlich, alles um an eben diesen zu kommen, zum Frühstück um 3. Nein, es ist etwas anderes. Wenn man mitspielt, und der Autor lässt den forschenden Leser nicht nur mitspielen, er nimmt ihn an die Hand, mit auf seine Kosmobahn, dann kommt dabei Explosionen, Feuerwerke und Leben heraus.