interview

interviewer:
Interview 2.1.0. Simone Kaempf
2006-01-31





Werner Vogd
wie würden Sie jemand anderem ihren job erklären?
Ich bin Soziologe, einen Schwerpunkt in der Organisationssoziologie, und mittlerweile spezialisiert auf die Umstrukturierung von Krankenhäusern. Ich versuche aber, davon weg zu kommen, wieder einen breiteren Horizont einzunehmen.

wann und warum wurden Sie ans ID4 berufen?
Zu dem Zeitpunkt, als ich in Ulm meine Doktorarbeit in Anthropologie schrieb. Die Abteilung lag in den Räumen der ehemaligen HfG. Dort, wo sich auch Nicks Büro befand, das immer offen war und wo immer jemand vorbei schaute, der unter Umständen langsam, aber sicher involviert wurde.

hatten Sie zuvor schon kontakt zu designern?
Nein, jedoch sehr mit den bildenden Künsten, von denen sich das Design in der Ulmer Tradition sehr distanziert hat, was aber dann doch Berührungspunkte schafft, ich denke da etwa an den Kunstbegriff von Joseph Beuys. Bei Nick war der Designbegriff so weit gefasst, dass sich in gewisser Weise alles aufgelöst hat. Vom Konzeptionellen und der Theorie her gab es den klassischen Designer nicht mehr, er war existent durch die Praxis. Das war für mich überraschend und spannend.

was fällt ihnen zu den umständen und der zeit am ID4 spontan ein?
Meines erachtens tritt das ID4 in der Lehre eigentlich in den Hintergrund. Nicht nur, weil sich Nick am Ende vom Apparat distanziert hat. Man hat sich in Ulm kennengelernt und eben nicht in Berlin. Viele Lehraufträge waren nicht am Ort der Hochschule, sondern in Ulm. Ein Stück eigene Lehrstruktur mit den großen Räumen, der Werkstatt unten und den Übernachtungsmöglichkeiten für Studenten, um den typischen Uni-Rhythmus zu unterlaufen und Tag und Nacht an etwas zu arbeiten. Überall lagen Bücher herum, die man einfach nehmen konnte. Menschen, Bücher, Objekte trafen sich in einem Raum, und diese Treffen waren das, worum es eigentlich ging.

welche aufgaben haben sie dort übernommen?
Einzelbetreuung und work-ends, in denen es um das Begreifen von Symbolen ging, um symbolische Prozesse und Subjekt-Objekt-Perspektivenwechsel. Ein Oberthema lautete zum Beispiel Japan. Solche Titel hören sich nicht sehr greifbar an, aber das Titel finden war auch immer nur der Anlass, um eine Prozessdynamik zu starten, Entwicklungsprozesse zu strukturieren, zu entwerfen, zu präsentieren. Öffnen und schließen, kreatives Explodieren, den Einzelteilen nachgehen und wieder systematisch zusammenführen. Kategorien entwickeln, die eine Runde weiterführen. Bei Nick ist das ein Prozess, der immer weiter führt, und der Aufhänger war nie ganz beliebig. Meine Rolle hat sich dann immer stärker als jene entpuppt, Systematik zu erzeugen, z.B. in der Diplombetreuung.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Eine Generation, die vom Computer geprägt ist. Vieles hat sich auf den Computer verlagert, er spielt eine große Rolle als Arbeitsmittel oder auch als Arbeitsfeld, wenn man in die Entwicklung interaktiver Medien hineingeht.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Die Inspiration und die Reibung sind bei Nick miteingebaut. Auch was die Studenten betrifft. Für die war das Studium eine Lebensphase des Übergangs in eine pragmatische Zukunft. Bei Nick ist es aber so, dass alles Erreichte wieder in Frage gestellt wird. Das ist ein Spannungsfeld, das nicht aufzuheben ist. Nick ist einer der seltenen Menschen, die im Detail als auch übergreifend denken. Er verdrängt das selbst, wenn er sagt, ich habe nichts mit Produkten zu tun. Aber er selbst verfügt über ästhetische Empfinden und ist Experte, der in Produkten wertvolle Details erkennen und ändern kann. All das kann auch verwirrend und eine überfordernde Multiplizität sein.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Ab und zu sehe ich welche. Berlin ist eben eine kleine Welt, in der sich aus verschiedenen Gründen die Pfade immer wieder überkreuzen.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
In dem Moment, als ich dagewesen bin, hätte ich noch eher gedacht, ich hätte etwas anders machen sollen. Aber mit dem Abstand empfinde ich es als gute, kreative Rolle, die ich gespielt habe.

haben sie etwas in ihren Arbeitsbereich übernommen oder dort weiterentwickelt?
Die Zeit bei Nick hat mich sehr geprägt. Die ganze Art so zu denken, Projekte in dieser Form anzugehen und bei allem, was man tut, die Multiplizitäten des Designs vor Augen zu haben, das ist geblieben.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Designer haben in der Entwicklung der Gesellschaft mitgewirkt. Haben sich vom Kunsthandwerk distanziert oder die Technik entdeckt, die moderne Industriegesellschaft als Potenzial entdeckt und hatten, gerade im Bauhaus, das wird bis heute missverstanden, einen großen sozialen Anspruch. Die Kunst wurde noch stärker abgetrennt. Dann kam "Design ist unsichtbar", dann kam die politische Bewegung und die Idee von Nachhaltigkeit. Im Prinzip ist alles dagewesen. Und dann kam die moderne Phase und der Dekonstruktivismus. Jetzt steckt Design wie die gesamte Gesellschaft in der Krise und muss sehen, wie es sich neu erfindet. Ich habe das Gefühl, sie müsste sich erfinden, indem sie ihre Geschichte einsammelt.

welche hoffnungen oder ängste knüpfen Sie daran?
Hoffnungen auf neue Lösungen. Wenn zum Beispiel das Bauhaus sagte, wir sind auf dem Weg in die Industriegesellschaft, dann wäre heute die Frage, wie sieht das aus in einer Gesellschaft, in der Arbeit wegbricht.

worauf könnten Sie leicht verzichten?
Wenn ich es sagen darf: auf nichts.