interview

interviewer:
Simone Kaempf
2006-03-22


protraitbild

Wolfgang Pohl
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Lehrer für besondere Aufgaben an der HfbK Hamburg. Hauptsächlich Anfängerbetreuung. Ich versuche nach wie vor mit Studenten, die bereit sind - was sie nicht alle sind - an der Substanz des Designs zu arbeiten bzw. sie dorthin zu führen. Die Studenten sollen früh anfangen, ihre eigenen Vorstellungen von Design zu entdecken und später eine Methode haben, diese Vorstellungen auch umzusetzen. Außerdem Glasgestaltung. Für die Studenten ein gutes ästhetisches Üben in Kombination mit Handlungstraining, denn Glas-Entwurf und Prototypen-Anfertigung sind eine schwierige Angelegenheit. Und für das Bossard-Museum in Lüllau arbeite ich an einer Park-Gestaltung für Sehbehinderte. Wobei die Objekte auch für normal Sehende stimmen müssen. Für Blinde ist es schwierig, dreidimensionale Formen als Erfahrung mitzunehmen, aber es gibt die Chance, das zu substituieren.

wann und warum wurden Sie ans ID4 berufen?
Ich meine, dass mich Nick bei einer Versammlung reden gehört hat, irgendwann in der letzten Phase der Studentenrevolte. Eines Tages hat er mich angesprochen, ob ich einen Lehrauftrag übernehmen würde. Wir haben uns dann auf Kreativität geeinigt.

welche aufgaben haben sie dort übernommen?
Einwöchige Kompaktworkshops. Zwei Mal im Jahr. Es gab immer Phasen, in denen mehrere Projekte zugleich liefen von Brandolini, Jaspar Morrison oder etwa mir. Ich habe versucht, Kreativitätstechniken in Workshops umzusetzen. Was haben abstrakte, wenig fachbezogene Techniken wie Brainstorming mit dem Fach zu tun? Was kann man aus ihnen gewinnen oder sie verbessern? Was passiert, wenn man Brainstorming mit Scribble-Techniken kombiniert? Die designbezogenen Aufgaben blieben relativ offen, aber es ging immer auch um konkretes Handlungstraining: in der Stadt Material auftreiben, fotografieren, sich in Kleingruppen organisieren usw. Nick hat mich mit seiner offenen Zielvorstellung machen lassen. Das ist nicht selbstverständlich, und ich habe ihm das hoch angerechnet. Auf die Dauer hat sich daraus ein richtiges Kreativitätstraining entwickelt, das ich in an der HfbK Hamburg fortgeführt habe.

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Für mich war Anfang der 80er Jahre wichtig der Aufbruch in ein neues Design, zu neuer Emotionalität und Spielfunktion. Die Kreativitäts-Seminare sollten auch helfen, darüber Vorstellungen mitzuentwickeln. Was ist dieses neue Design? Neue Materialien, Funktionszusammenhänge, Ästhetik, emotionale Qualität? Aspekte, die heute normal sind, aber damals noch im Schatten des klassischen Funktionalismus standen. Das Phänomen beschränkte sich nicht nur aufs Design. Die Musik hatte die neue Deutsche Welle und die Malerei die jungen Wilden. Ein Gefühl lag in der Luft und entsprach einer neuen Offenheit. Der Beistelltisch von Axel Stumpf war eine Holzplatte mit reingehackten Äxten. Das war ein bisschen Aufbegehren, Widerspruch und ein bisschen frech. Wie eine Nachwelle der Studentenrevolte, aber sehr individualisiert. Eine Zeit des Aufbruchs in eine neue ästhetische Dimension. Als erstes kapierte das die Parfüm- und Kosmetikindustrie, die das sofort umgesetzt hat. Aber das alles ist nicht mehr da, und darin liegt der große Unterschied zu heute. Als Nicks ehemaliger Student Mark Kwami nach Ghana ging, dachte ich, dass ich mir die Ausbildung genau so vorstelle: dass jemand ein Handwerkszeug bekommt, eine Haltung gewinnt und in einen Bereich geht, wo er stark ist. Bei Jörg Hundertpfund sehe ich das auch, der, glaube ich, ein guter Pädagoge ist. Ich bin nach der Wende, irgendwann 1991, gegangen. Die Euphorie der Öffnungen und neuen Denkmodelle wurde mit zunehmender Bürokratisierung und Restauration mehr und mehr gedämpft. Es wurde enger. Wahrscheinlich ging es Nick ähnlich. Er hat in den Jahren schwer um seine Position gekämpft.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Schwierige Frage, hmh. In den 80ern war die Gesellschaft zu. Überall, wo man hinkam, waren die Stellen besetzt. Mit diesem zweiten Aufbegehren wurden neue Räume geöffnet. Heute ist Design irgendwie interessant. Die Studenten haben alle ein wenig zuhause gebastelt. Aber sie wissen nicht, was Design ist. Wissen dagegen schon, dass sie einen schweren Stand haben. Dennoch, oder deswegen, kommen sie unheimlich brav an der Hochschule an. Eine zeitlang könnte ich ihnen alles erzählen. Aber eine Eigenschaft hat die heutige Generation, die damals fehlte: Sie sind unglaublich geschult im Umgang mit sozialen Situationen, das erstaunt mich immer wieder. Sie können sich im Privaten sehr gut durchsetzen. Vielleicht ist das auch eine Art der Lebensfähigkeit.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Inspiration, ja. Das starke Augenmerk aufs Konzeptuelle habe ich von ihm übernommen. Und auch das sehr radikale Miteinander-Umgehen in den Workshops. Entscheidend war, dass er konzeptuelle Vorstellungen, funktionale Aspekte, Vernetzung, Gruppenarbeit vorangetrieben hat. Bei all dem kam aber die Ästhetik zu kurz. Selbst die funktionalen Kategorien wurden nicht mehr richtig bearbeitet.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Zu keinem mehr. Ist keine Absicht, sondern ergibt sich nicht.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Man müsste heute ganz anders anfangen, mit einer Lebenskunstschule. Viele Fragestellungen persönlicher Art haben sich im Gespräch nach dem Unterricht ergeben. Jetzt würde ich das verstärken. Die Persönlichkeitsentwicklung macht einen ganz großen Anteil der beruflichen Fähigkeiten aus, gerade in den gestaltenden Fächern, damit ist es mir heute bitterernst.

wie hat sich, seit sie arbeiten/lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkzeug verändert?
Ich lege viel Wert auf Handwerk, und damit meine ich ein breites Repertoire: Sprach-, Scribbel-, Zeichen-, Präsentations-, Organisationsfähigkeit. Modellieren, Bauen, Zeichnen wird heute vernachlässigt - unglücklicherweise, weil jeder ästhetischen Erscheinung eine handwerkliche Bearbeitung zugrunde liegt. Die Ergebnisse hängen heute davon ab, welches PC-Programm man kann und wie gut man es beherrscht. Man sieht dem Design heute an, aus welchem Programm es kommt. Ich bin kein Feind des Computers, aber man braucht die Basis, um das, was aus dem Rechner kommt, zu kontrollieren. Wahrscheinlich wird das durch die Einführung von Bachelor und Master noch schlimmer. Die HfbK war eine der freisten Hochschulen überhaupt und ich sehe jetzt, wie die Einengung durch die bürokratischen Strukturen schon beginnt, obwohl sich alle für die Einführung 2008 große Mühe geben.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Eine Hamburger Werbeagentur hat vor kurzem ein Intuitions-Manifest herausgegeben. Anscheinend, weil die Marketing-Strategien immer mathematischer werden und die Agenturen ein engeres Briefing bekommen. Das Intuitions-Manifest plädiert dafür, wieder den Bauch entscheiden zu lassen. Als ich das las, habe ich mich schon sehr gewundert. Weil erstens Intuition keine alleinige Strategie der Kreativität sein kann und zweitens, sich der Bauch auch irrt. Das gleiche passiert im Design, nur nicht so verschärft. Man ist nicht mehr dran an der Substanz oder an Strategien, hat auch die Möglichkeit verloren, die Substanz aufzurollen.

knüpfen sie hoffnungen oder befürchtungen daran?
Im Moment geht alles auf Purismus. Die Ökonomie drängt mit aller Kraft in die Systeme. Aus meiner Sicht wird das nur schlimmer. Ich weiß nicht, wann das wieder umkippt. Ich war einige Wochen in Indien. Da explodiert etwas, das so gewaltige Kraft hat und was wir noch gar nicht einordnen können. Alle, die in China waren, berichten das gleiche. Bei uns wird immer von Innovation geredet. Aber Innovationsgesellschaft heißt, dass sich ständig alles ändert und dass das auch erdacht und erprobt wird. Für mich stellt sich das natürlich alles radikal dar, denn ich steh kurz vor dem Ende meiner Hochschul-Laufbahn. Gucke da ganz knallhart hin, schaue, was habe ich damit zu tun und sehe viel unqualifiziertes, fürchterliches, wenig substanzielles Gebastel.

was kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
Kopieren und nachmachen nicht durchgehen lassen. Wenn ich bei einem Studenten sehe, er kopiert Philippe Starck, dann ziehe ich die Bremse. Dann folgt erst einmal die Krise. Dann wird an der Frage gearbeitet: was will er, was steckt in ihm selbst, bis ich das Gefühl habe, er hat seinen eigenen Standpunkt gefunden.

worauf könnten Sie leicht verzichten?
Auf alle Gegenstände von habitat. Eine Retro-Sprache, die ich mittlerweile langweilig und uninteressant finde.